Gar nicht grundlos vergnügt
"Sozusagen grundlos vergnügt." Sich freuen, "dass Amseln flöten und dass Immen summen, dass Mücken stechen und dass Brummer brummen. Dass rote Luftballons ins Blaue steigen. Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen." Ein Text, der mehr ausdrückt, als er zunächst erahnen lässt - vor allem angesichts des Hintergrunds, aus dem heraus er entstanden ist.
Nicht profan, sondern hintergründig ist auch das musikalische Menü, das vom "Duo Bernstheyn" am Samstag einem dankbaren Publikum im Atrium serviert wurde. Mit jiddischer Musik und Gedichten von Mascha Kaléko trafen Ute Bernstein und Achim Lüdecke in jeglicher Hinsicht den richtigen Ton - in sich ruhend, nach außen strahlend, in fast verzückender Leidenschaft, aber immer durch und durch authentisch.
"Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen." Die Worte der galizischen Jüdin, die in Berlin als Künstlerin erfolgreich war und dennoch 1938 nach Amerika emigrieren musste, dort sich aber nie zuhause fühlte, sind auch immer Ausdruck eines permanenten Exildaseins, der unerfüllten Sehnsucht nach Heimat und des wehmütigen Schmerzes.
Die musikalische Umsetzung mit Geige, Gitarre und Gesang in Klezmer-Tradition versprüht aber nicht nur Melancholie sondern auch pure, jedoch immer augenzwinkernde Lebensfreude. Da ist der spitzbübische Humor vom "afreml", des jiddischen Jungen, der bevor er 13 war, von zuhause weg musste und aus dem trotzdem was geworden ist. Das ist aber auch die Stippvisite in feinen Kreisen und die Erkenntnis, dass Kinder reicher Leute eben schon "meist mit Abitur zur Welt kommen" und dass "Business" und Bankbuch allzu leicht zur Religion werden können.
"Hora" - In aussichtsloser Verzweiflung singt Ute Bernstein, Achim Lüdecke fällt ein, beide steigern sich gemeinsam in schiere Ausweglosigkeit, lassen den Gesang verklingen, um die Klage an die Geige weiterzureichen und doch abrupt enden zu lassen. Dann die fast unerträgliche Leichtigkeit des Seins und die Einsicht, dass demjenigen, der ein "bisele Mazl" hat, eben doch die ganze Welt gehört.
Musik und Essen passen aber auch gut zusammen. Das klangvolle Rezept für "Borschtsch" - jene legendäre Suppe aus der russischen Küche, die so herrlich rot und wunderbar eigentümlich gewürzt ist, darf da natürlich nicht fehlen.
"Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht und dass die Sonne täglich neu aufgeht. Dass der Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter. Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter. Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht verstehn!" Grundlos vergnügt?
Die begeisterten Besucher im Atrium hatten jedenfalls nach einem gelungenen Abend genügend Grund, beschwingt, sicher etwas nachdenklich, aber vergnügt nach Hause zu gehen.
Brigitte Geiselhart